Kein eigenes Zimmer, nicht mal eine ruhige Ecke, kein Laptop, auf dem gearbeitet werden kann: In vielen Familien, in denen Ute Dörr-Hettler als sozialpädagogische Familienhilfe des Vereins KarLa tätig ist, war dies für die Kinder und Jugendlichen im Homeschooling Alltag.
„Viele Lehrer wissen nicht, wie wichtig sie sind." Patrik Hauns, Sozialamtsleiter Stadt Bruchsal
„Wir müssen die Ärmel hochkrempeln, nicht nur fürs Impfen.” Ingrid Bethge, Geschäftsleiterin KarLA
„Die Schule haben aber gefordert, unter diesen Rahmenbedingungen am Unterricht teilzunehmen“, erzählt sie. Für die Familien sei es aber schon eine Herausforderung gewesen, den Kindern und Jugendlichen eine Tagesstruktur zu geben, jeden Tag auch finanziell ein Mittagessen zu stemmen. Die Termine mit Ute Dörr Hettler, die oft morgens um 8 Uhr an der Haustür klingelte, gaben vielen Orientierung und „waren dringend nötig“, wie sie erzählt, „es gab ja keine Kontrollinstanzen und Bezugspersonen mehr“.
Dörr-Hettler unterstützte die Familien und erkämpfte, dass kleine Kinder zumindest stundenweise in die Notbetreuung kamen und Lehrer den Schulkindern, die keinen Laptop oder Computer hatten, die Lernmaterialien postalisch zuschickten.
„Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass in Familien alles vorhanden ist“, erklärt Ingrid Bethge, Geschäftsleiterin von KarLa. Kinder und Jugendliche, in deren Familien beispielsweise technische Ressourcen nicht vorhanden waren, seien über die Pandemie hinaus gebrandmarkt.
„Denn die Armut wurde öffentlich“, sagt Bethge. Ein großes Problem sei dabei gewesen, dass nicht alle Schulen die gleichen Standards hätten. Das mache die Welt auch für die Eltern weniger überschaubar. „Wir müssen die Ärmel hochkrempeln, nicht nur fürs Impfen, sondern auch für Familien“, fordert sie und wünscht sich, dass sich Schulen in Sachen Kooperation mehr öffnen würden.
Damit ist sie nicht allein. Das Kreisjugendamt Karlsruhe lud jüngst zu einer digitalen Fachveranstaltung, in der Erfahrungen der Corona-Pandemie und Erkenntnisse daraus auf der Tagesordnung standen.
„Sozial benachteiligte Kinder leiden mehr“, stellt Dominic Weiskopf, Leiter des Jugendamtes, klar. Die Auswirkungen der Pandemie im Landkreis würden nun evaluiert werden. Dabei sei klar: Die Angebote dürften nicht nur gut aussehen, sondern müssten auch niederschwellig ankommen. Deshalb müssten Hürden abgebaut werden,
damit Familien die Angebote der Jugendhilfe annehmen.
Die Jugendhilfe sei aber nur ein Baustein in der Verantwortungspartnerschaft für benachteiligte Kinder und Jugendliche. „Wir müssen aus Corona lernen und die Systeme untersuchen, was hat funktioniert und was nicht“, sagt auch Patrik Hauns, Sozialamtsleiter bei der Stadt Bruchsal. Zum einen müsse massiv in die Sprachförderung investiert werde, denn die sei der Schlüssel für Bildung, zum anderen müsse man die Kinder und Familien überhaupt erreichen. „Kinder müssen ganzheitlich wahrgenommen werden, das ist das Grundprinzip von Pädagogik“, sagt Hauns.
In anderen Ländern sei deshalb das Prinzip von Hausbesuchen der Lehrer durchaus üblich. Erzieher und Lehrer wüssten sonst gar nicht, wie die Kinder aufwachsen, die sie betreuen. „Viele Lehrer wissen nicht, wie wichtig sie sind“, wendet sich Hauns mit seiner Kritik an Schulen. In manchen Schulen sei Engagement nicht vorhanden, wenn zum Beispiel nicht mal eine Einladung für die Vorschulkinder erfolge. „Da muss man mehr Unterstützung erwarten dürfen“, sagt Hauns. Man müsse die Kinder in ihrer Lebenswelt abholen. „Mit einem Schulranzen und einer Schultüte am ersten Schultag ist es nicht getan“, sagt auch Jugendamts-Leiter Weiskopf.
Von zurückhaltenden und scheuen Jugendlichen, die nach dem Lockdown ins Jugendhaus zurückkehrten, erzählt Christina Rübenacker, Leiterin des Familienzentrums Villa Federbach in Malsch. Besonders Sprache, Motorik und Sozialkompetenz der Kinder hätten unter der Pandemie gelitten, seien aber auch generelle Probleme. „Was ist Bildung?“, fragt sie. Viele Kinder und Jugendlichen hätten mehr davon, wenn man mit ihnen singen würde als den Quintenzirkel zu lernen. Gerade die aufsuchende Hilfe müsse, so Rübenacker, intensiviert werden. Dabei bräuchten Lehrer Unterstützung und Netzwerke. Denn für mehr Austausch brauche es Zeit und kleinere Klassen.